Kunst und Reinigung
Sammelt die SKKG das Sammeln?
Die Sammlung der SKKG ist gereinigt und erschlossen. Doch kennen und verstehen sind zweierlei Dinge. Der Künstler Pedro Wirz macht einen Annäherungsversuch – und schafft ein neues Rätsel.
Endlich ist klar, welche Objekte und Kunstwerke Stiftungsgründer Bruno Stefanini während seiner Sammeltätigkeit erworben hat und in welchem Zustand sie sich befinden. Im März 2022 wurde ein 18-monatiges Reinigungs- und Registrierungsprojekt beendet, das die Geschichte der Sammlung fortan für immer prägen wird: Ordnung wurde geschaffen, Objekte gereinigt, registriert, fotografiert und erstmals konservatorisch einwandfrei gelagert.
Parallel dazu hat sich der Künstler Pedro Wirz Gedanken darüber gemacht, in welchem Verhältnis Staub und Leben, Chaos und Ordnung, Sinn und Sinnlichkeit in Bezug auf eine Sammlung von Kulturgütern stehen. Aus seiner Auseinandersetzung entstand das neue Kunstwerk «Brixe».
participation partout
In 18 Monaten haben rund 81 Arbeitskräfte in 69’059 geleisteten Arbeitsstunden 221’261 Objekteinheiten erfasst. Wie kann man ein ephemeres Verfahren, das eine spürbare Nachwirkung auf den Bestand und den Umgang mit einer Sammlung hat, für die Zukunft festhalten? Diese Frage beschäftigte den Leiter der Sammlung, Severin Rüegg, seit seinem ersten Arbeitstag bei der Stiftung. Der SKKG-Leitsatz «mittels Partizipation Verantwortung teilen» kam für die Beantwortung dieser Frage zum Tragen. Die Menschen, die sich in diesem Zeitraum tagtäglich mit der Sammlung auseinandergesetzt haben, sollten mitbestimmen können, wie dieser Prozess künstlerisch verarbeitet wird.
Die Vorstudie zur Auswahl geeigneter Künstlerinnen und Künstler wurde mit externen Expert:innen erarbeitet. Die daraus resultierenden Vorschläge wurden partizipativ mit Kolleg:innen aus dem Reinigungsteam diskutiert. Diese haben auch eigene Vorschläge eingebracht und Themen bestimmt, die in der künstlerischen Arbeit repräsentiert werden sollten. Die Wahl fiel schlussendlich auf den in Zürich lebenden Künstler Pedro Wirz.
Sinn durch Zufall, oder: Was gehört eigentlich zusammen?
Dieses partizipativ entwickelte Kunstprojekt ist eines von vielen Formaten, mit denen die SKKG ihre eigene Sammlung erforschen und besser verstehen will. Klar ist, dass sich Bruno Stefanini für einiges stärker als für anderes interessierte: Kontaktikonen – Gegenstände, die berühmten Menschen gehörten –, Militaria und Schweizer Kulturgüter standen hoch oben auf seinen Auktionswunschzetteln. Daraus eine stringente Sammlungsstrategie abzuleiten, wäre jedoch verfrüht. Wie die einzelnen Objekte in der Sammlung zueinander stehen, das war auch für die Expert:innen im Registrierungsprojekt nicht immer augenfällig.
«Nicht alles, was gemeinsam gekauft wurde oder sich an einem ähnlichen Ort befand, gehört auch wirklich zusammen. Bilder von Objektgruppen mit fehlenden «Puzzleteilen» wurden an eine Wand gehängt», erklärt die freischaffende Registrarin Sabina Schumpf. Von dieser «Suchwand» hat sich der Künstler Pedro Wirz auf seiner ersten Recherchetour inspirieren lassen. Darauf klebte ein handgeschriebener Zettel mit der Frage: «Was ist eine Brixe»? Wirz hat sich die Aufgabe gesetzt, eine mögliche Antwort auf diese Frage zu finden.
«Wie kann ein ephemeres Verfahren, das eine spürbare Nachwirkung auf den Bestand und den Umgang mit unserer Sammlung hat, eingefangen und festgehalten werden?»
Severin Rüegg, Leiter Sammlung und Projektleiter «Kunst und Reinigung»
Der Künstler als Sammler
Bruno Stefanini hat mit viel Leidenschaft bei grossen und kleinen Auktionshäusern mitgeboten. So kam eine Sammlung von über 100’000 Objekten zustande. Pedro Wirz tat es ihm gleich – mit dem Unterschied, dass der Künstler kleine Sammlungen von Privatpersonen online ersteigert hat. Auf Tutti und Ricardo kaufte er Konvolute von Schlüsselanhängern, VHS-Kassetten von Disney-Filmen, Plüschtieren, Handymodellen, Spielzeugbesteck oder Elefantenfiguren in allen Grössen und Materialien, um nur einige Beispiele zu nennen.
Der nostalgische Fokus auf einige obsolete Formate wie Velovignetten, Musikkassetten oder Super-Nintendo-Spiele lassen das Alter des Künstlers erahnen. Wirz hat seine gesammelten Objekte für das Wandrelief von «Brixe» in Gruppen angeordnet und so eine gewisse Ordnung hergestellt. Ein klares oder sinnstiftendes Narrativ entsteht dadurch jedoch noch nicht. Vielmehr verkörpert die Brixe ein paralleles Sammlungsuniversum, das den Versuch, Sinn und Ordnung zu schaffen, als eigenes Kunstwerk reflektiert.
«Brixe erzählt eine Ursprungsgeschichte: Aus Chaos wird Ordnung, aus Überresten entsteht neues Leben. Der Zyklus des Lebens»
Pedro Wirz, Künstler
Aus Chaos entsteht eine Geschichte
Mit «Brixe» hat Pedro Wirz hat ein grosses Wandrelief entworfen: 355 cm Länge, 200 cm Höhe und 25 cm Tiefe. Zwei Seitenflügel sind bestückt mit Objekten, die der Künstler auf verschiedenen Online-Auktionsplattformen ersteigert hat. Überdeckt hat er diese Ebene aus kulturellen Überresten mit einer Art Humus. Dazwischen ein Blatt, gefräst aus einem Holzstück, das mit Insekteneiern aus farbigem Glas verziert ist – eine Naturmetapher für Kulturerbe, geschaffen aus unterschiedlichsten Materialien und Handwerkstechniken.
Natürliche und menschengemachte Prozesse wirken auf Dinge ein, prägen sie und verändern sie mitunter bis zu Unkenntlichkeit. «Mich reizen chaotische Zustände», so der Künstler. Denn im Chaos liegt die Herausforderung, Ordnung herzustellen und Bedeutung zu schaffen. So erzählt auch «Brixe» eine Urgeschichte, nämlich den Zyklus von Anfang und Ende, von Wiedergeburt und Zukunft.